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 DESTILLAT
Anna Margrit Annen, Gerüst, Holz, Acryl, Dimension variabel, 2012/13, Foto: Albert Coers
DESTILLAT

Zuger Künstlerinnen und Künstler in Berlin

Anna Margrit Annen
Antonia Bisig
Luca Degunda
Michelle Ettlin
Livia Salome Gnos
Sladjan Nedeljkowic
Karwan Omar
Vreni Spieser
Markus Uhr


kuratiert von

Antonia Bisig und Maria Dannecker

Kunstverein Tiergarten / Galerie Nord / Berlin
8.5.-15.6.2013



DESTILLAT - Zuger Künstlerinnen und Künstler in Berlin

kuratiert von Antonia Bisig und Maria Dannecker
Kunstverein Tiergarten / Galerie Nord
8.5. - 15.6.2013

Die Ausstellung DESTILLAT verschafft erstmals einen umfassenden Einblick in das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem schweizerischen Zug, die auf vielfältige Weise mit Berlin verbunden sind.

Seit Jahrzehnten zieht es bildende Künstler, Literaten, Musiker und Theaterleute aus dem kleinsten Schweizer Kanton nach Berlin. Im Rahmen von Stipendien haben einige für längere Zeit hier gelebt und gearbeitet. Der Kanton Zug unterhält seit 1997 ein eigenes Atelier, die Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr seit 2000 mehrere Stipendiaten-Wohnungen. Manche der Künstlerinnen und Künstler sind geblieben, andere kehrten mit neuem Blick aus der Metropole in die Schweiz zurück.

DESTILLAT stellt insbesondere einige der bildenden KünstlerInnen aus Zug in einer Gruppenausstellung mit Malerei, Installation, Foto- und Videoarbeiten sowie Performances vor. Dabei gab es von kuratorischer Seite bewusst keine thematischen Vorgaben. Gleichwohl hat sich das künstlerische Ausloten von Räumen - sowohl von realen als auch imaginierten, erinnerten und sinnlichen Räumen - ebenso wie Fragen nach Stabilität bzw. Instabilität als Tendenz aller Arbeiten heraus destilliert.

Anna Margrit Annen und Sladjan Nedeljkovic sind mit installativen Arbeiten vertreten. Annen verweist mit "Gerüst" auf die Flüchtigkeit von architektonischen Räumen, Nedeljkovic zerlegt Computertastaturen, platziert Buchstabe zu Namen von Weltstädten um, lässt einen Tastenstrom Raum greifen - Synonym für Spannungsräume zwischen globaler Kommunikation und Uniformierung der Welt. In ihrer Animation untersucht die Videokünstlerin Michelle Ettlin Diskrepanzen zwischen Gegenwart und Erinnerung. Erinnerungsräume wiederum sind für Vreni Spieser ein Thema in ihrer Collage-Serie, eine Art Papier-Intarsien-Arbeit, basiert auf Materialien ihres Stipendiums in Berlin 2004/05, überdruckt mit Fotos aus ihrer Zeit in Argentinien und auf den Philippinen 2012/13. Verschwinden und Rückgewinnen von Lebensräumen spiegelt die Wahlberlinerin Antonia Bisig in ihrem Arrangement aus Zuger Landschaftsstudien, Reminiszenzen ihrer Aktionen im Stadtraum Zug 2012 und Dias ihrer Heimat aus den 1960er Jahren. Für das Rahmenprogramm entwickelt die Künstlerin zudem eine Tanz-Performance, die den räumlichen Bezügen der Exponate von DESTILLAT nachspürt. Livia Salome Gnos interessieren in " Simulation/Simulacrum", einem Ensemble aus Zeichnung und Malerei, optische als auch visionäre Prozesse des Sehens, während
Markus Uhr daran arbeitet die ästhetischen Qualitäten von Kunstklassikern aufzuspalten und sie in ihrem Umfeld neu zu justieren. Er zeigt eine Leuchtschrift und großformatige Fotoarbeiten. Für die Galerieräume gestaltet Luca Degunda Malereien an den Frontwänden, Streifen in parallelen Bahnen, welche Dynamiken und Tiefe erzeugen, sich allerdings nur bedingt als Konstruktion von Raum lesen lassen. Mit einer Klang-Installation setzt der Musiker Simon Berz atmosphärische Akzente und bringt im Rahmenprogramm zusammen mit dem Tänzer Karwan Omar eine Performance zur Aufführung, bei der es um das Ausloten von Klang- und Bewegungsräumen geht.
Antonia Bisig, Heimspiel - o.T., Installation, C-Print auf Aludibond, 80 x 120cm, 36 Gummitwists, 2013,
Foto: Albert Coers
Luca Degunda, Plain Lineage, Selbstklebende Folie, Dimension variabel, 2013, Foto: Albert Coers
Sladjan Nedeljkovic, Ghostwork Computertastaturen, ca. 90 x 210 cm x variabel, 2013, Foto: Albert Coers
Karwan Omar, Tanz- Performance 3 zur Ausstellung DESTILLAT, 2013, Foto: Albert Coers
DESTILLAT

Differenzierte Strukturanalyse und extreme Subjektbehauptung sind die beiden diametral entgegengesetzten Pole, zwischen denen die Ausstellung "Destillat" ihren künstlerischen Spannungsbogen entfaltet. Diese Pole markieren ein künstlerisches Artikulationsfeld, das mit raumgreifenden Wandarbeiten und Installationen quasi das Terrain für andere, eher fokussierende und näher betrachtende künstlerische Beiträge ebnet. Auf der Grundlage dieser Komplexität fächert die Ausstellung ein vielschichtiges Panorama zeitgenössischer Kunst aus der Schweiz auf.

Struktur und Subjekt sind gleichzeitig aber auch jene zwei konträren Pole, die sich in zahlreichen der versammelten Arbeiten miteinander verschränken und die komplexen Aktionsräume ausloten, in den sich heutige Künstlerinnen und Künstler mit ihren Arbeiten bewegen.

Eine interessante frage ist nun, ob sich aus einer solchen Grundposition Rückschlüsse auf spezifisch schweizerische Arbeitsbedingungen ableiten lassen oder ob sie nicht vielmehr das grundsätzliche Feld zeitgenössischer Kunstpraxis umschreibt.

Die Kunstgeschichte der zurück liegenden Jahrzehnte gibt für beide Thesen zahlreiche Anhaltspunkte: Zum einen ist die Schweiz schon lange ein Zentrum der Moderne und steht mithin im Fokus einer internationalen Kunstöffentlichkeit. Zum anderen waren es aber gerade die Schweizer KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts, die immer wieder Sonderwege beschritten und den Eindruck entstehen ließen, dass das Land für seine Künstlerinnen und Künstler ein besonderes Klima bereithält. Denkt man an Alberto Giacometti, Max Bill und Meret Oppenheim - um nur drei wichtige beispiele zu nennen - so ist man schnell versucht, mit ihnen gleichzeitig auch drei Außenpositionen zu identifizieren, die die Kunst der Moderne maßgeblicher als manch andere beeinflussten. Und auch bei diesen drei Beispielen lassen sich die Pole, zwischen denen sie ihre jeweilige künstlerische Arbeit entwickelten, treffend mit Struktur und Subjekt charakterisieren. Noch einen Schritt weiter in die Gegenwart gedacht, ließe sich diese Linie unschwer mit Fischli und Weiss, Sylvie Fleury und Pipilotti Rist fortspinnen. Alle Künstlerinnen und Künstler verbindet einerseits die Beobachtung der komplexen Strukturen, denen gesellschaftliches Leben untersteht, während sie andererseits größte Aufmerksamkeit auf Konsequenzen, die aus den strukturellem Bedingungen für das Subjekt resultieren, verwenden. Kaum jemand hat dies dramatische in der Kunst thematisiert als Giacometti, kaum jemand hat das politischer aufgefasst als Meret Oppenheim, kaum jemand konnte dies pointierter und ironischer auf den Punkt bringen als das Künstlerduo Fischli und Weiss.

Die Kuratorinnen Maria Dannecker und Antonia Bisig haben für "Destillat" neun bildende Künstlerinnen und Künstler aus dem schweizerischen Zug eingeladen, die über Stipendien enge Verbindungen zu Berlin haben. Einige von ihnen waren für mehrere Monate in der Stadt zu Gast, andere sind gleich ganz hier geblieben und haben Berlin zu ihrer Heimat gemacht. Die bandbreite der in der Ausstellung vertretenen künstlerischen Artikulationsformen ist extrem weit gespannt. Sie reicht von Skulptur, Installation, Fotographie und Malerei bis hin zum multimedialen Experiment an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Tanz.

Strukturelle Überlegungen stellen in ihren Beiträgen insbesondere Luca Degunda, Anna Margrit Annen, Michelle Ettlin und Sladjan Nedeljkowic an, wenn sie graphische Lineaturen im Raum entwickeln, räumliche Koordinatensysteme setzen, das Repetitive zum Konzept erheben oder sich der Archäologie moderner Kommunikationsmedien zuwenden. Folgerichtig sind dies auch die abstrakteren Beiträge zur Ausstellung, während sich Antonia Bisig, Markus Uhr, Livia Salome Gnos und Karwan Omar weitaus eher dem bild zuwenden und das agierende Subjekt deutlich in den Vordergrund stellen. Ist es in dem einen fall die Auseinandersetzung mit dem übermächtigen Ferdinand Hodler und seiner naturreligiösen Blickperspektive, so ist es andererseits die bildliche Aneignung der Ikonen des Pop, die zur kritischen Reflexion des Künstlermythos herangezogen werden, oder die individuelle Wahrnehmung des aufmerksamen Subjekts. Gleichzeitig machen aber auch diese Arbeiten – ebenso wie tänzerische Interventionen im Ausstellungsfeld – das Eingebundensein des Subjekts in strukturelle Zusammenhänge, in Konflikte und Reglementierungen nachvollziehbar, wie sie gleichermaßen die Notwendigkeit des Ausbruchs spürbar werden lassen.

Mit anderen Worten spannt die Ausstellung "Destillat" einen komplexen Bogen zeitgemäßer künstlerischer Positionierungen gegenüber einer sich immer weiter in spezialisierte Felder verästelnde Gegenwart, während auf der anderen Seite jene bisweilen direkten, bisweilen subversiven Strategien im Umgang mit dieser zunehmenden Abstraktion, aber auch mit der parallel dazu fortschreitenden Mythologisierung künstlerische Arbeit und deren bildnerischer Repräsentation ihren Platz behaupten.

Eine dezidiert schweizerische Perspektive ist aus den Beiträgen der Künsterinnen und Künstler nur schwer zu identifizieren, wenngleich die Sensibilität für Themen wie Raum, Natur, Landschaft und Individuum ebenso spezifische subjektive Erfahrungen wie künstlerische Produktionsbedingungen erahnen lässt. Im Diskurs mit urbanen Aspekten, mit dem kulturellen Klima der Metropole Berlin, das die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung während vieler Aufenthalte kennen gelernt haben, scheinen jene Bedingungen aber auf subtile Weise wesentlich zu werden und zu außergewöhnlichen künstlerischen Arbeiten führen.

Der Dank des Kunstvereins Tiergarten gilt zunächst den beiden Kuratorinnen Antonia Bisig und Maria Dannecker, die mit der Idee zu "Destillat" an uns heran getreten sind. Sie haben mit großer Aufmerksamkeit sehr unterschiedliche künstlerische Positionen ausgewählt, die sich trotz heterogener formaler und thematischer Arbeitsweisen zu einem nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich außerordentlich dichten und überzeugenden Gesamtbild - eben zu einem Destillat - zusammen finden. Sehr herzlich bedanken wir uns deshalb aber insbesondere bei den beteiligten Künstlerinnen und Künstler, die mit viel persönlichem Engagement und hervorragenden Arbeiten die Ausstellung zu einem besonderen Erlebnis machen.

Ralf F. Hartmann, Kunstverein Tiergarten
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